BUNDESKRIMINALAMT,Stern,1510.2001

 

Die Todesliste der Taliban

 

Taliban-Botschafter in Pakistan Zaeef

Das Bundeskriminalamt prüft derzeit eine in Frankfurt am Main entdeckte Todesliste mit 106 angeblichen Taliban-Gegnern auf ihre Echtheit. Die Namen würden bei Gefährdungsanalysen berücksichtigt, sagte BKA-Sprecherin Birgit Heib am Montag in Wiesbaden. Nach Angaben des SWR-Magazins „Report Mainz", dem das vierseitige Papier zugespielt wurde, halten sich vier der genannten Personen in Deutschland auf.

Die von Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar unterzeichnete und in der Landessprache Afghanistans verfassten Liste sei unter anderem an illegale Botschaften und Konsulate des Regimes verschickt worden. Sie stamme aus dem Umfeld der Vertretung der inzwischen geschlossenen Vertretung der Taliban in Frankfurt.

Unter den 106 Oppositionellen befänden sich unter anderem Anhänger des früheren Königs Mohammed Sahir Schah, aber auch Sozialisten, Kommunisten sowie Angehörige der so genannten Nordallianz. Des Weiteren seien Taliban-Abtrünnige genannt. Neben den vier in Deutschland lebenden Personen sollen sich weitere 18 im Ausland aufhalten, davon sieben in den USA.

Hinter einigen Namen finde sich die Anmerkung „killed" (getötet). Recherchen von „Report Mainz" zufolge sollen einige der aufgelisteten Menschen erst kürzlich Anschlägen zum Opfer gefallen sein. Alle, die im Laufe der vergangenen zwölf Monate umgebracht worden seien, seien nach ihrer Einreise in Pakistan erschossen worden.

In einer Art Vorwort heiße es unter anderem: „Für diejenigen, die sich im Ausland aufhalten, muss auch eine Lösung gefunden werden. Bei der Entscheidung über diese Leute haben Sie freie Hand". Terrorismus-Experten würden darin einen Aufruf zum gezielten Mord erkennen, berichtet das Magazin.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International habe darauf verwiesen, dass es sich um eine Fortschreibung einer Liste handeln könnte, die bereits vor zwei Jahren aufgetaucht sei.

El Kaida wollte Atomwaffen
Wie das TV-Magazin weiter berichtete, soll das Terrornetzwerk von bin Laden mit Hilfe der russischen Mafia versucht haben, an waffenfähiges Material zu kommen. Friedrich Steinhäusler, Rüstungskontrollexperte an der Universität Stanford, USA, sagte dem Magazin: „Es ist uns bekannt, dass es sehr konkrete Versuche gegeben hat seitens Al Kaida, über Mittelsmänner und Vertreter des organisierten russischen Verbrechens an nukleares Material heranzukommen und diese Gespräche dürften in Europa stattgefunden haben und werden auch von europäischen Sicherheitsdiensten untersucht."

Laut Steinhäusler wurden in Prag mehrere Kilogramm hochangereichertes Uran aus Russland sichrergestellt worden. Die aufgeflogene Bande habe mit Mittelsmännern aus Weißrussland, Tschechien, Deutschland und Russland zusammengearbeitet. Der 1998 in Grüneck bei München festgenommene bin-Laden-Vertraute Mamduh Mahmud Salim habe laut FBI versucht, Komponenten für Atomwaffen zu beschaffen.

 

PORTRÄT
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Das "diabolische" Gesicht der Taliban

 

 

 © AFP
Der erhobene Zeigefinger - Markenzeichen von Abdul Salam Saif
Die Taliban haben ein Gesicht: Abdul Salam Saif, den Botschafter der Taliban in Pakistan, kennt fast jeder. Denn er ist der einzige Kopf des Regimes, der im Fernsehen auftaucht und die Sicht der Taliban darstellt. Über die Luftangriffe der USA sagt Saif, dass sie nichts mit Osama bin Laden zu tun hätten: „Die Amerikaner terrorisieren das afghanische Volk, weil es sich zum Islam bekennt.“

Saif (34) wurde in der Provinz Kandahar geboren, genau wie der Anführer der Taliban, Mullah Mohammed Omar. Saif ist Paschtune und lebte 18 Jahre lang in einem „Madrasa“, einem religiösen Internat, in Quetta in Pakistan. In solchen Madrasas sind die Taliban entstanden. Wegen seiner religiösen Ausbildung trägt Saif den Titel „Mullah“.

Scheu vor diplomatischem Glatteis
Bei seinen Pressekonferenzen in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad spricht er langsam, oft mit erhobenem Zeigefinger, auf Paschtu. Englisch versteht er zwar, aber er will sich nicht auf diplomatisches Glatteis begeben, indem er es auch spricht. Saif trägt ein langes weißes Hemd über einer weiten Hose und eine Weste. Dazu kommen der lange Bart und der schwarze Turban, wie die Taliban sie vorschreiben. Saif ist etwas besser genährt als fast alle seine Landsleute, und er trägt eine Brille, aber sonst sieht er genau so aus wie fast jeder Mann in Afghanistan.

Seine Auftritte wirken aber auf viele so provozierend, dass sie ihn als finster beschreiben. Ein ein Mitglied einer deutschen Delegation spottete schon über Saifs Namen, und ein Journalist meinte eine diabolische Atmosphäre zu erkennen, nur weil Saifs Übersetzer wegen einer Kriegsverletzung eine Augenklappe trägt.

Letzte Taliban-Botschaft in Pakistan
„Pakistan unterstützt den Kampf gegen den Terror, wie kommt es da, dass Saif ungestört in Islamabad seine Ansichten verbreiten kann“, fragte ein empörter Korrespondent einen Sprecher des pakistanischen Außenministeriums. „Wir haben diplomatische Beziehungen, und es ist ratsam, diese Verbindung noch nicht abreißen zu lassen“, sagte der. Pakistan ist das letzte Land, in dem die Taliban eine Botschaft haben. Ein Wort aus den USA würde genügen, um das zu ändern, meinen Experten, aber auch die US-Regierung sei daran interessiert, notfalls noch einen schnellen Draht zum Regime in Kabul und Kandahar zu haben.

Saif stellt sich entgegen der Taliban-Vorschriften vor Kameras, und auch sein Umgang mit Journalistinnen, die ihn interviewen, wirkt nicht verkrampfter als wenn er mit Männern redet. Aber trotz dieses Umgangs mit „Ungläubigen“ gilt Saif als enger Vertrauter Omars.

Saif streut Propaganda gegen den Westen
Den ganz schnellen Draht zur Taliban-Führung hat aber auch er nicht mehr, seit Omar sich vor den US-Angriffen versteckt. Bis zu einer Woche kann es dauern, wenn Saif in die Gegend von Kandahar reist,

um sich die neusten Instruktionen zu holen. Saif nutzt seine diplomatische Freiheit, um dem Westen unangenehme Dinge zu sagen. Sein Vorwurf des Völkermords und seine Angaben, es seien schon mehr als 1000 Zivilisten umgekommen, gelten zwar als Propaganda. Dass unschuldige Kinder, Frauen und Männer getötet werden, lässt die Skepsis gegenüber den Angriffen aber wachsen.

Afghanistans Schicksal kann alle ereilen
Saif will die islamische Welt aus der Koalition lösen. „Was in Afghanistan passiert, kann in Zukunft in anderen moslemischen Ländern passieren“, warnt er, und seine Worte werden in alle Welt übertragen. Brächten die USA ihn durch einen Wink an Pakistan zum Schweigen, hätte das aber noch mehr Skepsis zur Folge, meinen Beobachter.

The Taliban and the "Outsiders"

Motives for the Destruction of Statues in Afghanistan

Markus Spillmann

The destruction of cultural treasures by the Taliban shattered all hope of a quick easing of Afghanistan's international isolation. The motives for the act remain unclear. Exiled Afghans in particular maintain that the destruction bears the signature of the Taliban regime's hardliners, who are allegedly under the influence of non-Afghans.

In the first week in April, just a few days after the great Buddhist statues were destroyed by the Taliban in Afghanistan, the Pakistani newspaper The Nation carried a surprising report. Fragments of cultural objects dating from pre-Islamic times, and obviously from Afghanistan, had turned up in Peshawar, capital of the North-West Frontier Province, the journal stated. A British dealer in antiquities there had been approached by middlemen and asked whether he would be interested in buying the objects. And the latest issue of the monthly Herald, published in Karachi, writes that there is a flourishing trade in cultural goods smuggled via the border crossing at Torkham on the Khyber Pass, in which high-ranking Taliban officials have been involved for years.

Many Rumors, Little Evidence

This lends new support to longtime rumors asserting that the Taliban actually used their effectively staged "demolition campaign" primarily to ship valuable artifacts out of the country and sell them to the highest bidder. There is still no conclusive evidence that large numbers of statues and other images have been destroyed. Journalists were given access to individual sites for only a short time and under supervision - and only several days after the destructive acts. Even careful examination of photographs of the newly emptied rocky niches which formerly housed the two huge Buddhas of Bamian leaves one uncertain. Experts are going under the assumption that those monuments were indeed destroyed. But there were no independent observers at the site, and it is a little irritating to see that, though the Taliban allegedly attacked the huge stone statues with dynamite, mortars and tank cannon, such a massive use of weapons failed to leave any visible traces in the immediate surroundings.

Aside from the unanswered question of how much the Taliban actually destroyed, their motives for the deed remain shrouded in darkness. One popular theory is that the top leadership in Kandahar wanted to mount a highly visible operation - the deliberate destruction of a piece of the world's cultural heritage - in order to protest the tightening of UN sanctions against Afghanistan in late January, when an arms embargo was also imposed on the Taliban. In addition, their already very limited access to such financial resources as the revenues from the overflight rights of international airlines was cut off entirely, and travel by government officials was sharply curtailed.

According to a Pakistani representative of an international aid group in Peshawar, the Koran students were especially disappointed that the outside world had failed to reward the ban on opium-poppy cultivation declared last summer by Mullah Omar, the spiritual head of the Taliban, and at the same time has displayed marked indifference to the suffering of the Afghan people. Aside from extradition of Usama bin Ladin, wanted for terrorism by the USA, combating drug production and narcotics trafficking is a central demand of the UN Security Council.

According to the UN's International Narcotics Control Board, there were in fact virtually no opium poppies planted for the production of raw opium in the Afghan regions it surveys. If one considers that, in 1999 alone, as much as 100 million dollars in earnings from the drug trade flowed into the Taliban's coffers, Mullah Omar's radical ban would constitute an astonishing about-face. But American narcotics experts point out that the country's warehouses are still very well stocked with raw opium and that Omar's edict may also have been issued simply to support opium prices. Moreover, last year's severe period of drought - the third in a row - mainly impacted the western and southern parts of the country, precisely the areas in which most opium-poppy fields are located.

A Domestic Sign of Strength?

But the theory that the Taliban ordered the destruction of cultural objects to protest UN sanctions leaves unanswered the question of just what the political value of the gesture might be for the Taliban. It would be understandable if Kabul had only threatened to destroy the statues, at the same time issuing an ultimatum to the international community. But that never happened. On the contrary, the action was carried out in seclusion from the global community, and without any concrete demands being linked to it. All outside efforts to prevent the destruction, including those tied to generous financial concessions, were vehemently rejected.

So it is conceivable that the Taliban, feeling threatened externally, carried out the destruction to send a signal of domestic strength and underscore their claim to power. Bamian, in central Afghanistan, where the two monumental Buddha statues stood, is still regarded by the Taliban as unstable, since it is a stronghold of the Hazara, a small Shiite minority. It is from the Hazara that the Hezb-e Wahdat and Harkat-e Islami militias recruit most of their members; both groups belong to the so-called Northern Alliance, which has been putting up bitter resistance to the Taliban in northeastern Afghanistan for years. The mainly Sunni Taliban have launched repeated attacks on the Hazara in the past, particularly following bloody defeats at the hands of the Northern Alliance. Not long ago, Human Rights Watch reported a massacre of Hazara by Taliban fighters in the Yakawlang District in January, which cost more than 100 civilians their lives.

There has been greater resistance recently in other places as well, such as around Herat in the northwest, where more than 100,000 refugees are housed in camps. And the usual winter break in fighting in the northeast ended ominously early. Both parties to the conflict appear to be preparing for a major summer offensive. The Northern Alliance's leader, Ahmad Shah Massoud, was received with some diplomatic pomp in France in early April and claims to have recruited about 20,000 new anti-Taliban fighters. The highly heterogeneous Alliance can count on the moral and material support of Russia, a few Central Asian republics, Iran, probably also India, and the entire West. For their part, the Taliban are supported by Pakistan, even though no one in Islamabad will officially admit this. It is an open secret that the ISI, Pakistan's Pashtun-dominated secret service, as well as the Pakistani army leadership, have their fingers in the Afghan pie - including sending troops and providing weapons systems. In addition, the hundreds of Koran schools in northern Pakistan - which provide the Taliban with their main source for recruiting newcomers to their cause - are fully legal.

It is no longer possible to overlook the fact that, even in those regions not directly affected by the fighting, the Taliban are coming under pressure due to an accumulation of factors. Their inability to do anything about the impoverishment of broad segments of the population is exacting its price in growing dissatisfaction. Drought, cold and the ongoing war have forced hundreds of thousands of Afghans to flee their traditional areas of settlement; this is creating new problems and tensions in other areas. That is particularly true of the southern and western parts of the country, which are inhabited mainly by Pashtuns, who constitute most of the Taliban.

Five years after taking power in Kabul, the fact is that the Taliban have nothing to show except the fragile pacification of those parts of the country they dominate - and the imposition of puritanical Islamic codes of behavior, which can by no means be enforced everywhere with a severity equal to that in Kabul. Afghanistan's real lifeline is provided by international relief organizations, which are now declaring that they are having growing trouble raising money for their projects.

Speculation about a Split

The much-ballyhooed destruction of the Buddhist statues may also be interpreted as further proof that there is tension within the Taliban movement over the future course to be pursued. There can be little doubt that such disagreement exists. Time and again in the past, reports have been leaked abroad about attempted coups and rebellions within the Taliban ranks, some of them caused by spats among individual front commanders over the distribution of booty and privilege. And a number of high-ranking Taliban officials in Kabul and Kandahar, including Mullah Omar, have been targets of assassination attempts.

How deep the split between "hardliners" and "moderates" actually goes, however, is just as unclear as the question of who among the Taliban leaders really holds the reins of power. Mohammed Rabbani, for example, the head of the Kabul shura (council of elders) who died of cancer in a Rawalpindi hospital in mid-April, was long considered the number two man in the hierarchy. But, after making concessions to then-American UN Ambassador Richardson, he was reportedly "toppled" by Mullah Omar personally in 1998. Taking his place were newcomers such as Culture and Information Minister Qodratullah Jamal, considered a loyal follower of Omar, who visited Switzerland last summer and, ironically enough, negotiated about temporarily handing cultural objects over to the Museum of the Afghanistan Institute.

At the same time, the one-eyed Mullah Omar, a man surrounded by an aura of mysticism, is not necessarily the real - or the sole - commander of the Taliban. He counts as the founder of the movement, almost never shows himself in public, never receives non-Muslim journalists, and is surrounded by an influential leadership group which reportedly exerts considerable influence over the rather uncharismatic "Leader of the Faithful," especially when it comes to religious decisions. Some Afghans in exile suspect that the many "foreign" Jihad fighters who are allegedly trained by the Taliban in Afghanistan in terrorism and military tactics are exerting an increasing influence on Taliban policy.

An Afghan women's rights activist currently living in Iran maintains that people like Usama bin Ladin were behind the destruction of the Buddhist statues. Those people, she notes, have no ties to Afghanistan or its cultural legacy. Their aim is to turn Afghanistan into a model Islamic state, an example to other countries and regions in which "holy war" is being conducted. Such suspicions, often heard especially in Pakistan, cannot be proved. But it is hard to deny them a certain plausibility, especially since Mullah Omar and Usama bin Ladin have recently become related through the marriage of a bin Ladin daughter to the "Leader of the Faithful."

11 May 2001 / Neue Zürcher Zeitung, 7 May 2001

 

Kasten: In 40 Tagen zum Kämpfer
Kasten: Auszug aus der Uno-Resolution 1333

Kein Mangel an Waffen in Afghanistan

Human Rights Watch kritisiert die Rolle von Drittstaaten

Die Konfliktparteien in Afghanistan erhalten seit Jahren aus dem Ausland in grossem Umfang Rüstungsgüter, finanzielle und logistische Hilfe sowie militärische Beratung. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert vor allem Pakistan, Iran und Russland. Sie fordert ein umfassenderes Uno-Waffenembargo.

msn. Mitte Juli haben in Afghanistan die das Land zu mehr als 90 Prozent beherrschenden Taliban ihre seit langem erwartete diesjährige Sommeroffensive gegen die Nordallianz eingeleitet. Wie in den Jahren zuvor versuchen die Studentenkrieger, die Stellungen der hartnäckig Widerstand leistenden Truppen unter Ahmad Shah Masud im äussersten Nordosten, im Panjshir-Tal und in einigen kleinen Enklaven entlang der Grenze zu Tadschikistan zu überrennen. Auf beiden Seiten der Frontlinien kommen dabei Rüstungsgüter zum Einsatz, die Drittstaaten seit Jahren liefern - im Fall der Taliban unter eklatanter Verletzung der Uno-Resolutionen 1267 von 1999 und 1333, die im letzten Jahr verabschiedet wurde. Noch zynischer mutet es an, dass einige der ausländischen Beteiligten auch Mitglieder der sogenannten Sechs-plus-zwei-Kontaktgruppe sind, die China, Iran, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan sowie Russland und die USA umfasst. Sie wurde gebildet, um eine Befriedung Afghanistans am Verhandlungstisch zuerreichen. In einer in Taschkent im Juli 1999 verabschiedeten Erklärung haben ihre Mitglieder bekräftigt, den afghanischen Kriegsparteien keinerlei militärische Unterstützung zu leisten.

Schlüsselrolle Pakistans

In ihrer jüngsten Analyse* über den inzwischen mehr als 20 Jahre andauernden Krieg am Hindukusch wirft die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nun insbesondere Pakistan, Iran und Russland vor, sich auf Seiten der Taliban (Pakistan) beziehungsweise der Nordallianz (Iran, Russland) am Krieg zu beteiligen. Neu sind diese Erkenntnisse an sich nicht. Human Rights Watch ist es aber gelungen, durch die Analyse zahlreicher Einzelereignisse und die Konsultation vieler (anonymer) Informanten ein klareres Bild der ausländischen Verstrickung zu zeichnen. Die Details der gemachten Angaben sind als Folge ihrer schwierigen Überprüfbarkeit grundsätzlich mit Vorsicht zu bewerten - in der Tendenz decken sie sich mit anderen verfügbaren Informationen aus der Region.

Die Einmischung Pakistans in die afghanische Politik besitzt eine lange Tradition. Der Kampf der Mujahedin gegen die Sowjettruppen von 1979 bis 1989 wurde massgeblich von pakistanischem Territorium aus koordiniert und logistisch unterstützt, unter anderem mit Hilfe der USA. Über zwei Millionen afghanische Flüchtlinge fanden im südlichen Nachbarland Aufnahme, zum Teil bis heute. Nach dem Abzug der Sowjettruppen und dem Abgleiten Afghanistans in einen Bürgerkrieg setzte Islamabad zunächst noch auf den Milizenführer Gulbuddin Hekmatyar und dessen Hezb-e Islami. Als sich zeigte, dass auch dieser unfähig war, die Macht in seinen Händen zu konzentrieren, wandte sich Islamabad ab Mitte der neunziger Jahre den überwiegend aus den KoranschulenBelutschistans stammenden Taliban («Studenten») zu, die unter ihrem geistigen Führer MullahOmar dem Land Frieden und Stabilität versprachen. Nachdem es der Miliz dank pakistanischer Hilfe gelungen war, 1996 Kabul einzunehmen und ihre Macht in weiten Teilen des Landes zu konsolidieren, wurde die «Regierung» der Taliban von Pakistan, Saudiarabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt.

Es gibt mehrere Gründe dafür, dass Islamabad die Taliban, ohne es offiziell je zugegeben zu haben, auch militärisch unterstützt. Einerseits sieht Pakistan in Afghanistan die «strategische Tiefe», die es im Konflikt mit Indien zu benötigen glaubt. Eine stabile, propakistanische Herrschaft in Kabul beziehungsweise in Kandahar wird dazu als unabdingbar empfunden. Hinzu kommt, dass der pakistanische Geheimdienst ISI, der in der Afghanistanpolitik federführend ist, im Gegensatz zur Armee traditionell eher von (sunnitischen) Paschtunen beherrscht ist, jener Volksgruppe also, aus der auch die Kämpfer der Taliban überwiegend stammen. Einfluss auf die Politik im Nachbarland zu nehmen, liegt aber auch deshalb im Interesse Pakistans, weil sich Islamabad vor separatistischen paschtunischen Strömungen im eigenen Land fürchtet. In der an Afghanistan angrenzenden Provinz Nord-West Frontier leben ineiner staatlichen Halbautonomie viele paschtunische Clans. Sie sollen mit einem grenzüberschreitenden paschtunischen Staatsgebilde liebäugeln.

Direkte operative Beteiligung

Human Rights Watch berichtet von bis zu 30 Lastwagen täglich, die allein im April und Mai dieses Jahres die Grenze bei Torkham am Khyber-Pass in Richtung Jalalabad überquert haben sollen - trotz den Uno-Sanktionen. Neben der im Süden von Quetta in Belutschistan nach Kandahar verlaufenden Strasse führt via Torkham dieeinzige einigermassen leistungsfähige Schwerverkehrsroute über die sonst kaum mit Fahrzeugen passierbare 2400 Kilometer lange pakistanisch- afghanische Grenze. Eine unbekannte Zahl dieser Lastwagen soll laut Beobachtern Artilleriegeschosse, Panzermunition und raketengetriebene Granaten geladen gehabt haben. Bewohner von Peshawar im Norden Pakistans berichten immer wieder von aussergewöhnlichen - weil nächtlichen - Flugzeugstarts. Die Nordallianz wirftdem Gegner zudem vor, Kampfflugzeuge einzusetzen. Die Taliban verfügen aus alten Beständenunter anderem über MiG-21 und Su 20/22 in unbekannter Anzahl. Es ist zu vermuten, dass diese von Mechanikern aus Pakistan gewartet werden.

Verlässliche Informanten, unter anderem aus den Reihen der Taliban selbst, haben gegenüber Human Rights Watch aber auch eine direkte Beteiligung Pakistans an militärischen Operationen erwähnt. So hätten Mitglieder von Geheimdienst und Armee nicht nur grössere Offensiven der Taliban mitgeplant, sondern den Studentenkriegern auch bei der Durchführung zur Seite gestanden. Ausländische Beratung widerspiegelt sich denn auch in der Gefechtsführung der Taliban. Bei der Eroberung von Taloqan im letzten Herbst, einer Hochburg der Nordallianz, wandte die Miliz eine für sie uncharakteristische Taktik an. Die Stadt wurde erst nach längerem Artilleriebeschuss angegriffen, die Kampfhandlungen fanden vor allem nachts statt, und es wurden hohe Verluste in Kauf genommen. Zudem waren die Feldkommandanten so diszipliniert, in der Stunde des Triumphes nicht sogleich eine weitere Offensive einzuleiten - ein Verhalten, das in der Vergangenheit immer wieder zu einer gefährlichen Überdehnung der Kräfte geführt hatte.

Diversifikation der Bezugsquellen

Mit Blick auf die zurückliegenden Kriegsjahre fällt auf, dass jedes Mal, wenn den Koranschülern eine schwere Niederlage drohte oder diese gar eingetreten war, die Miliz nach kurzer Zeit in alter Stärke eine neue Angriffswelle begann. Dabei verbesserte sich nicht nur deren Ausrüstung von Mal zu Mal (etwa dank den aus der Golfregion via Karachi in grosser Zahl eingeführten geländegängigen Pickups), sondern auch die Taktik. Die Miliz gleicht heute dank ihrer Ausrüstung, der Flexibilität ihrer Einheiten, deren rascher Verlegbarkeit und den funktionierenden Kommando-und Führungsstrukturen viel stärker einer «normalen» Armee als einem Mujahedin-Verband.Ohne ausländische Unterstützung wäre eine solche Entwicklung kaum vorstellbar.

Einschränkend muss allerdings auch gesagt werden, dass die Taliban in den letzten Jahren ihre Bezugsquellen diversifiziert haben. Das Wohlwollen Pakistans ist einerseits nicht immer gleich ausgeprägt, sieht sich doch die Militärregierung in Islamabad starkem internationalem Druck ausgesetzt, ihre Hilfe an die Taliban einzustellen. Das Land ist wegen seiner Atomrüstung selbst mit Sanktionen belegt und dringend auf internationale Finanzspritzen und die Unterstützung durch die USA angewiesen. Andererseits passt es nicht in das Selbstverständnis der Taliban, sich am Gängelband des ISI zu bewegen. Die Miliz hat sich daher ein Netz von privaten Gewährsleuten aufgebaut, die in der Grauzone zwischen Schmuggel und offiziellem Handel operieren und für die Taliban vor allem in Hongkong und in der Golfregion Waffen, Munition, Reserveteile und Ausrüstungsgegenstände einkaufen. Diese Rüstungsgüter gelangen via Karachi in versiegeltenContainern nach Afghanistan, dank einem entsprechenden Transitabkommen mit Pakistan zollfrei und in der Regel ohne Kontrolle.

Neben Pakistan hat Saudiarabien zwischen 1994 und 1998 die Taliban mit finanziellen, wohl aber auch mit militärischen Mitteln in Millionenhöhe unterstützt. Die Geldströme sollen inzwischen versiegt sein, nachdem es zu mehrerenTerroranschlägen gegen amerikanische Einrichtungen in der Golfregion gekommen war, bei denen der von den Taliban beherbergte und von Washington gesuchte Usama bin Ladin seine Finger im Spiel gehabt haben soll. Allerdings sollennamhafte Spenden von saudischen Privatpersonen und gemeinnützigen Institutionen weiterhin ungehindert in die Taschen der Miliz fliessen.

Iran als Hauptstütze der Nordallianz

Die Nordallianz, ein heterogenes Zweckbündnis rund um den gestürzten Präsidenten Rabbani und dessen Verteidigungsminister Masud, wird hauptsächlich von Iran mit Rüstungsgütern unterstützt. Es ist weniger Sympathie als vielmehrnüchternes Kalkül, das Teherans Verhalten erklärt. Die ursprünglich bevorzugten schiitischenGlaubensbrüder der Hazara-Miliz Hezb-e Wahdat sind heute zu schwach, um allein gegen die(sunnitischen) Taliban anzukämpfen. Ihr Zusammengehen mit anderen Taliban-Gegnern hat Iran dazu bewogen, Masuds (sunnitische) Jamiat-e Islami als die stärkste Kraft in der Nordallianz ins Zentrum der Waffenlieferungen zu rücken.

Wurde die Versorgung anfänglich vor allem mit Transportmaschinen der iranischen Luftwaffe nach Mazar-e Sharif sichergestellt, musste nach der Eroberung der Stadt durch die Taliban 1998 nach neuen Wegen gesucht werden. Die sechs für mittelschwere oder schwere Transportflugzeuge ausgelegten Landebahnen Afghanistans werden heute alle von den Taliban kontrolliert. Der derzeit einzige Flugplatz im Herrschaftsgebiet derNordallianz ist jener des «Regierungssitzes» Faizabad; er aber kann nur von leichten Transportmaschinen angeflogen werden.

Die Rüstungsgüter gelangen dieser Tage entweder über eine durch fünf Staaten führende beschwerliche Landroute in den Nordosten Afghanistans, was ohne die (passive oder aktive) Kooperation der angrenzenden zentralasiatischen Länder sowie der russischen und tadschikischen Grenztruppen nicht möglich wäre. Oder aber sie werden von Meshhed in Iran auf den unter russischer Kontrolle stehenden Luftwaffenstützpunkt von Kuliob in Tadschikistan geflogen. Von dort aus werden die Rüstungsgüter mit Helikoptern oder auf dem Landweg weitertransportiert. Weder Moskau noch die Führung der Nordallianz haben eine solche Form der Unterstützungje dementiert; sie wird auch von diversen Augenzeugen aus der Grenzregion bestätigt.

Wie umfangreich die Waffenlieferungen an die Nordallianz sind, zeigt das von Human Rights Watch in Osch kopierte Inventar eines im Oktober 1998 vom kirgisischen Geheimdienst gestoppten Güterzuges, der in Meshhed in Iran beladenworden war: Munition für die russischen Kampfpanzer T-55 und -62, Panzerminen, 122-mm- Artilleriegeschütze plus Munition, Raketen für «Grad»-Mehrfachwerfer, Granaten verschiedenen Kalibers sowie diverse leichte Infanteriewaffen mit der entsprechenden Munition. AlleRüstungsgüter waren ursprünglich in der Sowjetunion entwickelt worden; laut Human Rights Watch ist aber unklar, wo die sichergestellten Waffen tatsächlich produziert wurden. Neben dieser materiellen Hilfe, die auch nichtmilitärische Güter umfasst, sollen der Nordallianz auch iranische Militärberater zur Seite stehen.

Ausdehnung des Uno-Waffenembargos

Laut Human Rights Watch zeigt sich deutlich, dass das bestehende Sanktionsregime der Uno gegen die Taliban nicht wirkt. Weder seien diese dazu bereit, Usama bin Ladin auszuliefern, wie es Washington und Moskau fordern, noch trügen die bestehenden Sanktionen zu einem Abflauen der Kämpfe bei. Leidtragende sei vielmehr die Zivilbevölkerung. Die Organisation, die Uno- Sanktionen grundsätzlich befürwortet, fordert daher die Aufhebung der Zwangsmassnahmen. Stattdessen soll der Uno-Sicherheitsrat ein neues, umfassendes und vor allem gegen alle Parteien gerichtetes Waffenembargo verhängen, trotz dem damit möglicherweise verbundenen Risiko, dass die Taliban dadurch eher gestärkt werden. Aus dem neuen Regime sollen «zivile» Bereiche ausgeklammert bleiben, also die Versorgung des Landes mit Treibstoff oder die Zulassung ziviler Flüge ins Ausland. Gleichzeitig seien Uno-Inspektoren in die Nachbarstaaten zu entsenden, die in den betreffenden Ländern (vor allem in Pakistan) die Einhaltung der Sanktionsbestimmungen überwachten. Letzteres hat die Uno im Rahmen des bestehenden Sanktionsregimes vor kurzem bereits von sich aus beschlossen.

* Crisis of Impunity; the Role of Pakistan, Russia and Iran in Fueling the Civil War in Afghanistan. Human Rights Watch, New York 2001.

In 40 Tagen zum Kämpfer

msn. Bei der Rekrutierung von neuen Kämpfern für die Taliban spielt nach Angaben von Human Rights Watch das südwestlich von Kabul gelegene frühere Armeelager Rishikor eine wichtige Rolle. Hier werden offenbar von pakistanischen Islamistenorganisationen Freiwillige in 40 Tagen von Instruktoren aus Pakistan und arabischen Staaten zu Soldaten ausgebildet. Die jungen Männer stammen aus Pakistan und erhalten in Paschtu - der Sprache der Taliban - Unterweisung im Waffengebrauch, werden aber auch religiös geschult.

Nach Durchlaufen des «Grundkurses» in Rishikor werden laut den von Human Rights Watch zitierten Quellen ausgewählte Kämpfer zur Spezialisierung in weitere Lager gebracht, wo sie zum Beispiel zu Panzerfahrern oder für Kommandounternehmen ausgebildet werden. Der Grossteil der Rekruten jedoch wird in Gruppen von 20 bis 30 Mann unter Führung eines erfahrenen Kämpfers an die Front geschickt, wobei die Teilnahme am Krieg als islamische Pflicht angesehen wird, aber grundsätzlich «freiwillig» erfolgen soll. Von Human Rights Watch befragte Rekruten beschrieben ihre pakistanischen Instruktoren als mehrsprachig (neben Paschtu oft auch Urdu, Arabisch und Englisch); die Kommandanten im Feld seien etwas jünger und gäben sich oft als ehemalige Angehörige der pakistanischen Armee aus.

Laut Angaben eines ehemaligen hohen pakistanischen Offiziers beträgt der Anteil von pakistanischen Freiwilligen an allen Taliban-Kampfverbänden rund 30 Prozent. Ein nicht identifizierter Experte schätzt die Beteiligung der aus den Golfstaaten und aus Nordafrika stammenden «Ausländer» auf Seiten der Taliban auf 8000 bis 15 000.

Auszug aus der Uno-Resolution 1333

msn. In der vom Uno-Sicherheitsrat am 19. Dezember 2000 verabschiedeten Resolution 1333 ist in Paragraph 5 festgehalten: «Staaten sollen (a) die Lieferung, den Verkauf und den Transport von (. . .) Waffen und verwandtem Material aller Art, einschliesslich Waffen und Munition, militärischen Fahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen, paramilitärischen Rüstungsgütern und Ersatzteilen (. . .) durch ihre Staatsangehörige oder von ihrem Territorium aus, mittels Schiffen und Flugzeugen unter nationaler Flagge, in das unter Kontrolleder Taliban stehende Territorium von Afghanistan verhindern; sie sollen (b) den direkten oder indirekten Verkauf, Nachschub oder Transport in das Territorium der Taliban (. . .) von technischer Beratung, Unterstützung oder Ausbildung, die in Bezug steht mit militärischen Aktivitäten von bewaffneten Kräften der Taliban, verhindern; (c) alle ihre offiziellen Repräsentanten, Berater und militärischen Personen (. . .), die den Taliban in militärischen oder anderen für die Sicherheit relevanten Bereichen zur Seite stehen, zurückziehen (. . .)»

Neue Zürcher Zeitung, 16. August 2001

 

 


 


 

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