Das Interview wurde kruz vor dem Attenat durchgeführt!

Von Eugen Sorg Frankfurter Rundschau

Warum, Ahmed Schah Massud, sind Sie eigentlich immer noch am Leben?

"Ich weiß nicht, warum ich überlebt habe. Unser Schicksal liegt in Gottes Hand."

Der afghanische Kommandant, laut Wall Street Journal der "Mann, der den Kalten Krieg beendete", auch "Löwe vom Panshir" genannt, seit 26 Jahren an der Front, Anführer der letzten Bastion gegen die Taliban, die von Pakistan gelenkten Brutal-Islamisten, Kommandant Massud lacht zum ersten Mal seit einer Stunde. Ein bubenhaftes Grinsen, das ein wenig an Robert De Niro erinnert und nicht so recht zum fatalistischen Verweis auf den Allmächtigen passt.Vielleicht haben Sie auch gut auf sich aufgepasst.

"Früher bewegte ich mich ständig. Nie blieb ich zwei Nächte am selben Ort. Noch vor dem ersten Gebet, noch bevor mich der erste Lichtstrahl des Tages für einen Piloten sichtbar gemacht hätte, war ich wach und bereits unterwegs. Ich wusste am Morgen nie, wo wir mittags und abends das Essen einnehmen und wo wir übernachten würden. Nichts wurde geplant. Und wenn ich an einem Ort ankam, unter einem Baum oder in einem Garten, und mit den Leuten sprach, um zu hören, was sie dachten, bewegten wir uns gleichzeitig langsam weiter. Darum verfehlten mich die russischen Bombenangriffe immer um sechs, zehn Stunden."

Wir treffen Massud in seinem momentanen Hauptquartier in Khwaja Bahauddin, einem staubigen, heißen, Skorpion- und Malaria-verseuchten Kaff im Nordosten Afghanistans. Bis hierhin haben ihn die vordringenden Truppen der Taliban gejagt. Der Ort liegt an der Schwemmebene des Amu Darya, an dessen anderem Ufer Tadschikistan beginnt. Von dort werden die für Massuds Nordallianz wichtigsten Güter angeliefert: Waffen und Munition aus dem Iran und Russland.

Ein Taliban-Sprecher ließ neulich verlauten, dass seine Männer noch vor Ende dieses Jahres das ganze Land erobern würden. Was ist Ihre Prognose?

"Es ist nicht machbar, was er sagt, und es ist unvernünftig. Wir haben es früher angekündigt, und wir wiederholen es heute: Es gibt keine militärische Lösung für Afghanistan."

Sie selber setzen aber seit jeher auf Krieg.

"Wir wehren uns gegen fremde Einmischung, gegen die Einmischung Pakistans, und unser Widerstand soll die Taliban zwingen, sich auf Verhandlungen einzulassen."

Er würde sich irgendwann in den nächsten Tagen Zeit für ein Interview nehmen, hatte Massud uns ausrichten lassen. Um den Termin auf keinen Fall zu verpassen, bezogen wir Stellung unter einem schattigen Ahornbaum im Garten des Hauptquartiers. Noch andere saßen da mit uns. Es spricht sich sofort herum, wenn Massud wieder im Ort ist, und alle, die irgendein Problem zu lösen haben, versuchen bei ihm vorzusprechen. Wie bei einem Khan, einem traditionellen Stammesvorsteher.

Ein Mujaheddin in abgewetzten Turnschuhen will die Bitte vortragen, dass er und seine Kameraden das Essen für die Front nicht mehr selbst von zu Hause mitbringen müssen. Ein anderer benötigt einen Transport in sein Dorf in einer entfernten Provinz, da sein Vater gestorben ist. Ein Bauer mit einem fleckigen Turban will eine Bestätigung in einer verwickelten Geschichte um einen zu hohen Brautpreis. Ein zweiter will seinen Sohn, wegen Diebstahls in Haft, nach Hause holen, da er ihn dringend für die Feldarbeit braucht. Und ein aus Kabul geflüchteter Schauspieler, der die ganze Runde mit einer grimmigen Parodie auf Mullah Omar, den Chef der Taliban, zum Lachen bringt, will die Unterstützung für einen Film über die Gotteskrieger.

Immer wieder stoßen neue Leute hinzu. Und die meisten werden im Laufe dieses oder eines der folgenden Tage in ein kleines Lehmgebäude geführt, das als Massuds Büro dient. Zwischen Kriegsplanung mit den Frontkommandanten, Unterredungen mit verschiedensten Emissären und langen Gesprächen am Satellitentelefon hört sich Massud die Anliegen der eingeschüchterten Bittsteller an. Oft kommen Letztere mit einem Fetzen Papier nach einigen Minuten wieder heraus. Massud hat persönlich eine Anordnung oder eine Bewilligung darauf gekritzelt. Einige Male sehen wir Massud kurz, wenn er Be-sucher zum Abschied zur Tür geleitet oder wenn er das Büro verlässt, um zu beten.

Er bewegt sich nie schlendernd oder plaudernd, sondern immer zielstrebig und konzentriert. Wenn er stehen bleibt, dann nur, um einen Soldaten zurechtzuweisen oder einem Kommandanten einen Auftrag zu erteilen. Keine Frage: Er ist ein Mensch, der keine Sekunde seines Lebens für etwas verschwendet, das nicht einem klar definierten Zwecke dient. Und er scheint alles selbst kontrollieren zu wollen. Von der Wahl neuer Uniformknöpfe bis zur Entscheidung über Krieg und Frieden.

Massud kam vor 49 Jahren in Jangalak zur Welt. Jangalak heißt "kleine Welt" oder "kleiner Dschungel" und liegt im Panshir, einem fruchtbaren, sanft ansteigenden Tal im Hindukusch nördlich von Kabul. Sein Vater war Offizier in der königlich-afghanischen Armee und hatte elf weitere Kinder mit drei Frauen. Massud absolvierte in Kabul das französische Gymnasium, begann ein Ingenieur-Studium, das er nach einem Jahr wieder abbrach.

Es war Ende der 60er Jahre, und auch der Campus von Kabul war von der damals weltweiten Unrast befallen. Für die umsturzfreudigen Studenten gab es zwei Optionen: Kommunismus oder politischer Islam. Massud wählte Letzteren und schloss sich dem Kreis um Professor Rabbani an, dem Islamisten, Schriftsteller und Führer der Jamiat-i-Islami-Partei.

1973 putschte sich Mohammed Daud, ein Cousin des Königs Zahir Schah, mit Hilfe der Kommunisten an die Macht. Der diktatorische rote Prinz verjagte seinen Onkel ins italienische Exil, schaffte die Monarchie ab, belohnte die Kommunisten mit Ministersitzen und begann bald mit dem Bau des ebenso berüchtigten wie gigantischen Gefängnisses von Pul-i- Charkhi, wo er seine islamistischen Feinde einkerkern wollte. Diese hatten 1975 einen bewaffneten Aufstand angezettelt, der aber in einem Debakel endete. Die Bevölkerung schloss sich den jungen Rebellen nicht an, und Daud nahm furchtbare Rache.

Der 23-jährige Massud war einer der Rebellen-Anführer gewesen. Er konnte mit Glück sein Leben retten und tauchte unter. Sein langer Krieg hatte begonnen. Daud wurde erst drei Jahre später gestürzt. Im Frühjahr '78 wurden er, seine Familie und seine Leibwache von den Kommunisten erschlagen, die aber bereits wenig später damit begannen, sich untereinander abzuschlachten. Gleichzeitig leiteten sie die marxistische Beglückung des Volkes so brutal ein, dass sich wenig später zwei Drittel des Landes in offenem Aufruhr befanden. Wobei die Erhebungen nur an wenigen Orten organisiert waren. Wie im Panshirtal, wo Massud mit seinen Getreuen ein Widerstandsnetz aufgebaut hatte...

Am Morgen des vierten Tages werden wir in Massuds Büro gebeten, einen kahlen, provisorisch möblierten Raum. Der Kommandant werde gleich hier sein, bescheidet uns ein junger, smart wirkender Mitarbeiter in perfektem Englisch. Zehn Minuten später steht Massud vor uns. Ich hatte kaum bemerkt, wie er eingetreten war und uns alle blitzschnell gemustert hatte - mit einem derart intensiven Blick, dass man ihn beinahe körperlich spüren konnte. Doch als ich seinen Blick erwidern will, schaut er vorbei und versteckt sich hinter einem abwesenden, fast schläfrigen Gesichtsausdruck. Wie einer, der sich nicht in die Karten schauen lassen will. Einer, der sehen, aber nicht gesehen werden will.

Massud ist schlank und auf eigenartige Weise elegant: das volle, sorgfältig frisierte Haar, der melierte Kinnbart, das dezent abgestimmte Graubraun seiner Feldkleidung, die Hände, gepflegt wie die eines Pianisten, die Stiefel aus weichem Leder, das herrisch-scharf geschnittene Gesicht. Sobald das Gespräch beginnt, verschwindet seine offensichtngt, mit Flammenwerfern ausgebrannt worden. Aber Massud hatte seine Leute beschützt.

Im ganzen Land wurde an der Legende vom Löwen vom Panshir, vom Adler vom Panshir, vom unbesiegbaren Krieger weitergesponnen. Sein Bild hing nicht nur im Heimattal oder in Häusern von Tadschiken (Massud ist Tadschike), sondern auch in solchen von Paschtunen oder Usbeken oder Nuristani.

Die USA stellten dem antikommunistischen Aufstand insgesamt drei Milliarden Dollar zur Verfügung. Deren Verteilung delegierten sie bald an Pakistan. Das selber zutiefst zerrissene und von notorischen Dieben und skrupellosen Militärs regierte Land hatte alles Interesse an einem schwachen benachbarten Afghanistan. Geld verteilte es folglich nur an die Mujaheddin-Führer, die sich am gehorsamsten ihren außenpolitischen Wünschen unterwarfen.

Im pakistanischen Peshawar sammelte sich mit der Zeit ein Heer von schmarotzenden Kommandanten, die nicht mehr kämpfen, sondern sich nur noch bereichern wollten. Zum Beispiel, indem sie die für den Widerstand bestimmten Waffen umgehend auf dem Schwarzmarkt weiterverkauften. Hauptgünstling der Pakistaner jedoch war der Paschtune Gulbuddin Hekmatyar, ein hochintelligenter, aber heimtückischer und grausamer Kriegsherr, der dafür berühmt werden sollte, mehr eigene Landsleute umgebracht zu haben als kommunistische Besatzer.

Massud blieb den ganzen Dschihad über im Lande. Er kämpfte zusammen mit seinen Leuten an der Front. Nie hätte er sich vor einen fremden Karren spannen lassen. Er war stolz, eigensinnig, nicht käuflich. Der militärische Geheimdienst der Pakistaner, ISI, nahm ihn daher auch nicht auf die Liste der Begünstigten. Die Waffen, mit denen Massud und seine Leute kämpften, waren größtenteils eigenhändig vom Feind erbeutet worden. Die afghanische Bevölkerung wusste um die Machenschaften in Peshawar. Um so heller strahlte Massuds Stern.

Wir bedanken uns bei Massud für das Interview, er liest noch zwei, drei Zettel, die man ihm hingestreckt hat, als er plötzlich aufsteht und den Raum verlässt. Schnell wie üblich, ohne rechts oder links zu schauen, eilt er durch den Hof, auf seinen japanischen Geländewagen zu. Die ganze Umgebung gerät augenblicklich in Bewegung. Bedienstete springen auf, seine Bodyguards spurten los, jemand reißt die Wagentür auf, und Massud verschwindet hinter den getönten Scheiben. Ein paar Sekunden später setzt sich eine Kolonne von fünf Autos in Bewegung. Da Massud nie ankündigt, wann und wohin er geht, rennen wir einfach mit den anderen los und springen in den letzten Jeep - in der Hoffnung, Massud irgendwohin begleiten zu können.

Nach einer einstündigen, holprigen Fahrt gelangen wir auf eine von Bergketten gesäumte Hochebene. Rund 300 Soldaten machen hier Schießübungen. Es sind Neulinge - Dörfler mit sonnenverbrannten Gesichtern und struppigen Haaren. Massud nimmt ein Gewehr, macht vor, wie man schießt, lässt zwei oder drei der Soldaten schießen, kommentiert, korrigiert, lobt. Er spielt den General, der sich um seine Männer kümmert, und er scheint gerne zu spielen.

Wir fahren weiter zu einem Panzerübungsplatz. Massud klettert auf einen Tank und spricht dort oben etwa 20 Minuten mit dem Kommandanten, einem jüngeren, dandyhaften Typ. Dem Tanz seiner Hände nach zu schließen, erläutert Massud Gefechtssituationen, Angriffe, Zangenbewegungen, plötzliche Vorstöße. Der Auftritt wirkt leicht theatralisch, überinszeniert, aber wie schon bei den Schießübungen scheint sich Massud in der Rolle wohl zu fühlen.

Im Februar '89, knapp zehn Jahre nach ihrem Einmarsch, traten die letzten kommunistischen Truppen wieder den Rückzug an. Die bis dahin ungeschlagene Armee war gedemütigt worden von überwiegend analphabetischen Berglern und Wüstenbewohnern, einem Volk in Sandalen, das sich wie vor 2000 Jahren noch vorwiegend auf Eseln fortbewegte.

Wenig später sollte es auch mit dem gesamten Sowjet-Imperium vorbei sein. Der 1986 von den Sowjets installierte Präsident Najibullah, ehemaliger Chef des kommunistischen Geheimdienstes, konnte sich noch eine Weile halten. Dann wurde er verraten. General Dostam, die "eiserne Ferse" des alten Regimes, wechselte mit seinen Usbekenkriegern ins Lager Massuds. Der Weg nach Kabul war endlich frei.

Im April 1992 fuhren Massud und seine triumphierend lachenden Mujaheddin auf sowjetischen Panzern in die Hauptstadt ein. Najibullah war bereits gestürzt und verhaftet worden. Es war die Stunde von Massuds größtem Triumph. Alles schien erreicht. Doch dann sollten die Dinge einen fürchterlichen Verlauf nehmen...

Afghanistan war nie eine Nation gewesen, sondern ein fragiles und kompliziertes Gebilde aus Clans und Stämmen, die argwöhnisch darüber wachten, dass keiner den anderen dominierte. Der Krieg hatte das Gleichgewicht der Eifersucht tief gestört. Neue Gruppen waren plötzlich mächtig geworden, andere hatten Einfluss verloren. Begehrlichkeiten waren geweckt worden, Machthunger, Gier, Rachegelüste, Hass. Keiner traute mehr dem anderen, jede Gruppe vermutete, die andere wolle sie übervorteilen. Das Land war ruiniert, aber voller Waffen. Afghanistan glitt in die Hölle der Gesetzlosigkeit.

Die neue Regierung mit Präsident Rabbani und Verteidigungsminister Massud war unfähig, für sichere Verhältnisse zu sorgen. Kaum waren die beiden Tadschiken vereidigt worden, begann der paschtunische Kriegsfürst Hekmatyar, Kabul zu bombardieren. Der brutale, bauernschlaue Usbekengeneral Dostam wandte sich ebenfalls plötzlich gegen Massud, und er bekam Waffenhilfe von Einheiten der Hazara, einer mongolisch-stämmigen Minderheit aus Zentral-Afghanistan.

Mitten in der Hauptstadt tobten Artillerieduelle. Ruhigere Momente nutzten die Krieger, um zu plündern und nach Frauen zu jagen. Massud konnte verbündete Milizen nicht daran hindern, in ein von Hazara bewohntes Quartier einzudringen, um unter den Zivilisten ein Blutbad anzurichten. Und auch die eigenen, sonst für ihre Disziplin bekannten Truppen marodierten. Kabul verwandelte sich in eine Geröllhalde. Und Massuds Ansehen sank.

In einem Nachbardorf von Jangalak, Massuds Heimatort, wird jede Woche die "Botschaft des Mujaheddin" produziert, ein dünnes Blatt mit einer kleinen Auflage. Ich frage Herausgeber Afiz Mansur, welche Fehler Massud in Kabul gemacht habe. Mansur, etwa 40 Jahre alt, mit Brillengläsern so dick wie Butzenscheiben, hinter denen ein Paar streitlustige Augen blinken, überlegt nicht lange. Etliche, sagt er. Erstens habe Massud Kabul eingenommen, ohne vorher Beziehungen mit dem Ausland aufgebaut zu haben. Mit dem Resultat, dass Pakistan dachte, er habe Beziehungen zum Iran, und der Iran glaubte, er arbeite mit Pakistan zusammen. Also hätten sich alle eingemischt und ihre eigenen Fraktionen unterstützt, Pakistan zuerst weiterhin Hekmatyar, der Iran die schiitischen Hazara, die Saudis den Wahabiten Sayyaf, während Massud ganz allein da stand. Und stolz sei er geworden und arrogant, meint Mansur. "Ich bin mächtig, ich habe die Russen besiegt, ich gebe die Befehle hier" - so sei seine Haltung gewesen.

Er sei wirklich der überragende Kommandant im Lande, auch der Einzige, der die gefangenen Feinde menschlich behandelt habe. Und der Einzige, der sich nicht persönlich bereichert habe. Aber er sei Kommandant geblieben und habe sich nie zum Politiker gewandelt. Dies habe aber zu Zwist mit Kollegen geführt, mit dem Präsidenten Rabbani beispielsweise. Und weil er viel befahl, aber wenig Rat einholte, sei er kein guter Politiker gewesen. Aber Massud, sagt Mansur, habe hinzugelernt.


Kommandant Massud, sind Sie mitverantwortlich für die Zerstörung von Kabul?

"Die Männer, die ich um mich hatte, waren überhaupt nicht vorbereitet, ein Land zu regieren. Die meisten unterbrachen wegen des Kriegs ihre Ausbildung. Es gab niemanden, der die Arbeit der Behörden hätte kontrollieren können. Die Polizei besaß keine Mittel, um dem Gesetz Respekt zu verschaffen."

Man hört, dass Ihre Männer von der Bevölkerung schließlich genauso gehasst wurden wie die der anderen Milizen. Was war Ihre Rt werden."

Mit kräftigen Stößen paddelt der Halbwüchsige unser Floß, ein Lastwagenpneu mit aufgeschnürtem Bambusgestell, über den Kokcha. Rund drei Kilometer weiter unten, dort, wo sich ein kahler Felsen aus der Ebene erhebt, mündet der Kokcha in den Amu Darya, den Grenzfluss zu Tadschikistan. Auf der anderen Seite erwarten uns usbekische Reiter. Wir steigen um auf ihre kleinen, beweglichen Pferde und reiten durch eine paradiesische Landschaft aus Reisfeldern und Schilfdickicht, Eichenwäldern und Gärten mit Granatapfel- und Aprikosenbäumen. Schnatternde Kinder auf gescheckten Pferdchen traben vorbei und winken uns fröhlich zu. Und jedes Mal, wenn in der Nähe das Wummern der Geschütze zu hören ist, drehen sich die Usbeken lachend zu uns um, um zu sehen, ob wir erschrecken. Wir sind auf dem Weg zur Front, aber irgendwie herrscht eine Stimmung, als führen wir auf eine Hochzeit.

Am Ausgang des Dorfes Kharokh steigen wir ab. Während unsere Reiter im Schatten eines Baumes zurückbleiben, führt uns eine Gruppe Mujaheddin über ein offenes Feld. Einer zeigt mit dem Finger nach rechts. "Dort drüben, etwa eine Minute entfernt", sagt er ungerührt, "sind die Taliban. Wäre heute die Sicht nicht so schlecht, könnten wir hier nicht durch." Ich blinzle seinen Finger entlang. In kaum 300 Meter Entfernung schwimmen die Umrisse eines Unterholzes undeutlich im Dunst. Unwillkürlich ziehe ich meinen Kopf ein.

Auf beiden Seiten der Front stehen Krieger mit Bärten, auf beiden Seiten tragen die Frauen die Burka. Warum sollte jemand wie ich für die Nordallianz des Kommandanten Massud Partei nehmen?

"Wir haben eine sehr klare Botschaft. Erstens: Wir sind für freie Wahlen. Und wir sind dafür, dass die Uno diese überwacht. Zweitens: Wir lehnen den Terrorismus in jeder Form ab. Osama bin Laden ist für uns ein Krimineller. Und Sie wissen, dass es nicht einfach ist, so etwas zu sagen. Ich habe mein Leben dem Dschihad geweiht. Bin Laden war ebenfalls im Dschihad. Er ist zum Führer von extremistischen Gruppen in der ganzen islamischen Welt aufgestiegen. Ich erhielt aus Dutzenden von Orten in der Welt Anrufe. ,Du bist Muslim', sagten sie mir, ,warum bekämpfst du Osama bin Laden?' Es wäre einfach für mich gewesen, ihm zu sagen: ,Du bist nicht unser Feind, mache, was immer du machen willst, arrangiere dich mit uns.' Aber wir sind zutiefst gegen seine Überzeugungen. Drittens: Wir sind gegen das Phänomen Drogen. Zweifellos wird ein Teil der Drogen durch unser Gebiet transportiert. Sie werden aber noch durch viele weitere Länder befördert, die im Gegensatz zu uns keinen Krieg haben."

In Ihrem Gebiet wird ebenfalls Opium angebaut. Wir haben in den Dörfern Felder gesehen.

"In der Provinz Badachshan gibt es ein paar Kulturen. Ismaeliten leben dort, eine islamische Sekte, die seit Jahrhunderten süchtig sind. Sie pflanzen für den Eigenkonsum an. Aber wenn Sie nach Chay Ab ins Gefängnis fahren, finden Sie dort Rhollam Salim, den Tycoon des Drogenhandels. In einer einzigen Aktion beschlagnahmten wir bei ihm eine halbe Tonne Opium. Jetzt sitzt er bereits das dritte Jahr im Gefängnis. Trotz all seines Geldes und Einflusses."

Die Drogenkontrollbehörde der Uno ließ unlängst verlautbaren, dass die Taliban die Drogenproduktion eingestellt hätten. Aber Afghanistan ist weltweit immer noch Nummer eins der Opium-Produzenten. Woher kommt also das Opium?

"Die Taliban haben ausreichend Vorräte, um noch zwei oder drei Jahre weiter zu exportieren. Es waren im Übrigen die großen Drogenhändler, die den Produktionsstopp veranlassten, nicht Mullah Omar. Sie wollten, dass die Preise steigen. Ich habe genügend Informationen über die ganze Situation. Die großen Pflanzungen liegen im Taliban-Gebiet, in den Regionen von Jalalabad, Kandahar und Helmand. Die Taliban ziehen zehn Prozent Landwirtschaftssteuern für die Opiumfelder ein. Dann kassieren sie eine Fabrikationssteuer: 180 Dollar pro Kilo-Paket, das offiziell abgestempelt wird. Dann folgen Verkaufssteuer und schließlich noch eine Transportsteuer, wenn die Ware mit dem Flugzeug zuerst nach Kabul und dann nach Kunduz geflogen wird. Ohne Stempel und Deklarationen der Taliban passiert kein Paket die Grenze."

Lassen Sie uns noch von einem vierten Punkt sprechen: von den Menschenrechten, den Rechten der Frau.

"Sie haben selber gesehen, dass hier im Norden oder im Pandshir Frauen arbeiten und Mädchen zur Schule gehen. Wir hindern niemanden daran. Wir haben auch Schritte unternommen, um die Lage der Frauen zu verbessern. Für Sie vielleicht kleine, für ein Land wie Afghanistan aber wichtige Schritte. Wenn zum Beispiel ein Streit zwischen zwei Clans zu einem Toten führte, dann musste die schuldige Seite eine Wiedergutmachung leisten. Sie tat dies, indem sie der Opferseite ein Mädchen oder eine Frau gab. Das Mädchen wurde nicht gefragt. Ich war immer gegen diese Sitte und habe sie gestoppt. Eine Frau kann kein Abgeltungsmittel sein.

Oder ein anderes Beispiel: Wir erhielten die Information, dass ein Mädchen den Sohn eines Khans eines mächtigen Stammes heiraten sollte. Die junge Frau war aber absolut dagegen. Ich ordnete an, dass der Fall untersucht wurde. Der Khan war stark, er hatte 400 bewaffnete Männer, stand 3000 Familien vor, und er hatte das Mädchen für den Sohn ausgesucht. Ich sagte dem Khan, dass er das Mädchen nicht zwingen solle, seinen Sohn zu heiraten, und dass die Regierung ihm helfen würde, sein Gesicht zu wahren. Er kam zu mir und wollte meinen Stiefel küssen, und er sagte: ,Tun Sie, was Sie wollen, aber tasten Sie mein Prestige und meinen Ruf im Dorf nicht an. Lassen Sie mich die Heirat durchführen.' Immer wieder sagte er mir dies. Die Unterhaltung gelangte an einen toten Punkt. Logik und Commonsense halfen nicht mehr weiter. Wir mussten mit dem Einsatz von mehreren Hundert Bewaffneten drohen. Er sah unsere Entschlossenheit und änderte seinen Entschluss."

Und Sie haben einen Feind mehr.

"Reden Sie von einem kleinen Dorftyrannen, der gegen eine Armee antreten will? Ich bitte Sie (lacht)."

Nach wenigen Minuten erreichen wir den Frontposten. Der Kommandant ist ein etwa 40-jähriger Mann mit melancholischen Gesichtszügen. Er lädt uns in sein Quartier ein, eine kleine Erdhütte mit einem staubigen Teppich auf dem Lehmboden, und serviert Tee. Er sei Bauer, erzählt er, und immer, wenn die Ernte eingeholt sei, gehe er in den Krieg. Seit 20 Jahren. Er wirkt ein wenig müde. Dann tritt ein jüngerer Kämpfer in den Eingang. Er trägt eine Rakete und winkt uns heraus. Seine Kollegen stehen um ihn herum, als er Richtung Feind abfeuert - gut gelaunt wie Kinder, die Knallfrösche abbrennen. Kurz darauf meint der Kommandant höflich, es sei wohl besser, wenn wir jetzt gehen würden. Bald würde nämlich zurückgeschossen.

Eine Gruppe junger Mujaheddin spaziert mit uns ins Dorf zurück. "Habt ihr keine Angst?", wollen wir wissen. "Nein, nein", rufen sie, "die Taliban haben Angst." "Ihr wärt bereit zu sterben?" "Wir sind bereit zu sterben." "Ihr seid verrückt." "Ja, wir sind verrückt", lachen sie nur.

Die militärische Landkarte präsentiert sich heute wie in den 80er Jahren: Die Taliban kontrollieren die Städte und die Verkehrsachsen wie damals die Sowjets, und Massuds Bündnis beherrscht das schwer zugängige, gebirgige Landesinnere, von wo aus es einen Guerillakampf führt. Massud ist der Motor, das Zentrum, der Kopf. Fällt er, fällt die Allianz, und die Taliban verhängen ihr freudloses Gottesreich über ganz Afghanistan. Eine Fortsetzung des Bürgerkrieges wäre garantiert.

Was ist das Wichtigste im Leben eines Mannes, Kommandant?

"Der Entschluss. Wenn man einmal den Entschluss gefällt hat, einen Weg zu verfolgen, wird der Rest einfach. Und jetzt ist unser Entschluss, dass wir nicht den Taliban weichenkzugeben. Die Frauendelegierten wies er persönlich an, sich in Kabul nicht kritisch über ihn zu äußern. Zur Sicherheit bekamen sie ein paar Aufpasserinnen mit. Vier der acht Morde, die die UNO im Zusammenhang mit der Loja Dschirga öffentlich machte, ereigneten sich in Ismail Khans Einflussbereich. Zwei Kandidaten wurden in ihren Betten mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet, ein dritter vor Zeugen von Ismail-Khan-treuen Mudschaheddin verhaftet - und ein paar Stunden später erschossen am Straßenrand wiedergefunden.

Einer der wenigen, die widerstanden, ist Muhammad Rafiq Schahir. Der Vorsitzende des örtlichen "Rates der Spezialisten", einer nichtstaatlichen, eher unpolitischen Vereinigung von Juristen, Lehrern und anderen Berufsgruppen, wurde zwei Tage lang beim Geheimdienst verprügelt, dann nachts auf den Friedhof gefahren, wo man ihm eine Pistole an den Kopf hielt: "Wie könnten dich hierlassen …". Nach Intervention der UN und der USA musste Ismail Khan ihn freilassen, und Schahir fuhr tatsächlich nach Kabul. Dort sah er Ismail Khan wieder - im Publikum der Loja Dschirga. Schahir hielt sich auf der Versammlung zurück und vermied es sogar, Gleichgesinnte aus anderen Landesteilen zu treffen. "Nachdem Schahir verhaftet wurde, verstummten die Leute", zitiert jetzt der Human-Rights-Watch-Bericht eine Einschätzung aus Herat.

Inzwischen enthält sich die Zeitschrift des von Schahir geleiten Rates aller kritischen Töne. Das Magazin der Literarischen Gesellschaft erscheint seit zwei Monaten nicht mehr, nachdem Ismail Khan den Vorstand aufforderte, positive Artikel "über den Dschihad und den Schleier" zu drucken. Den Studenten der Universität untersagte er, sich zu politischen Themen zu äußern. Den Vorstand des erst im August gegründeten Herater Frauenrats bestimmte Ismail Khan gleich selbst.

Nachdem sich Ismail Khans Repression auch gegen die paschtunische Minderheit richtet, erhebt sich auch bewaffneter Widerstand. Erst am Wochenende beschossen Ismail Khans Truppen einen Basar im Einflussgebiet seines Widersachers Amanullah Khan südlich von Herat und töteten 17 Menschen. Amanullah hatte vor kurzem eine Delegation von Stammesältesten nach Kabul geschickt, die Interimsstaatschef Karsai aufforderte, Ismail Khan abzulösen.

Inzwischen hat Herat auch wieder eine Religionspolizei nach Taliban-Art. Im Oktober fackelte sie auf dem Basar hunderte "unislamische" Video- und Musikkassetten sowie Filmplakate ab. Im Fernsehen blenden die Zensoren Blumenmotive ein, wenn eine unverschleierte Frau auf der Szene erscheint. Ismail Khan dekretierte, dass kein Mann einer Afghanin die Hand geben darf. Männer wie Frauen müssen "islamische" Kleidung tragen. Sogar Schlipse sind verboten.

Da liegt im Bericht von Human Rights Watch die Folgerung nicht fern, dass Herat "in vielem" so aussieht "wie unter den Taliban": "eine geschlossene Gesellschaft, in der es keinen Dissens gibt, keine Kritik an der Regierung, keine unabhängigen Zeitungen, keine Freiheit, offen Versammlungen abzuhalten, und keinen Respekt für die Herrschaft des Gesetzes (,rule of law')". Die Menschenrechtsorganisation fordert, das Mandat der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf über Kabul hinaus aufs ganze Land auszudehnen. Denn die Abwesenheit von Friedenstruppen an Orten wie Herat habe zu einer Verschlechterung der Menschenrechtslage in Afghanistan beigetragen, heißt es in dem Bericht.

 

Afghanistan: Kein Richteramt ohne Kopftuch

 

06.11.2002

T-Online

Das Oberste Gericht Afghanistans hat Regierungskreisen zufolge eine Richterin entlassen, weil sie während eines Treffens mit US-Präsident George W. Bush und dessen Frau im vergangenen Monat kein Kopftuch getragen hatte.
"Kleiderordnung befolgen"
Ihre Entlassung sei von führenden Mitgliedern des Gerichts beschlossen worden. Der Vize-Präsident des Gerichts, Fasl Ahmad Manawi, sagte dagegen, er wisse nichts von einer Entlassung der Richterin Marseja Basil. Er forderte die afghanischen Frauen aber auf, die islamische Kleiderordnung im In- und Ausland zu befolgen. Die 44-jährige Basil war zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen.

Im Fernsehen ohne Kopftuch zu sehen
Basil gehörte zu einer Gruppe von 14 afghanischen Regierungsvertreterinnen, die im Oktober an Computer- und Management-Fortbildungskursen in den USA teilgenommen und dabei auch Bush sowie dessen Frau getroffen hatte. Fernsehbilder zeigten sie und andere Kursteilnehmer ohne Kopftuch neben Bush. Basil sei kurz nach ihrer Rückkehr Ende Oktober entlassen worden, hieß es in den afghanischen Regierunsgkreisen.

Streit um Kleiderordnung in Afghanistan
Nach dem Sturz der radikal-islamischen Taliban im vergangenen Jahr haben einige Frauen in Afghanistan die von den Fundamentalisten geforderte traditionelle Burka abgelegt, die den ganzen Körper der Frau verhüllt. Die neue Regierung von Präsident Hamid Karsai lockerte viele Beschränkungen der Taliban, doch sind einige Regierungsmitglieder gegen diese neuen Freiheiten. In der Regierung sind auch frühere Mudschaheddin vertreten, die bereits vor der Machtübernahme der Taliban den afghanischen Frauen eine Kleiderordnung auferlegt hatten.

 

Hochzeitsfeiern mit Musik im Westen Afghanistans verboten
Genau ein Jahr nach dem Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan ist die Provinz Herat zum Verbot von Hochzeitsfeiern mit Musik und Tanz zurückgekehrt.


  14.11.2002 News

Gouverneur Ismail Khan bestätigte einen islamischen Urteilsspruch, eine so genannte Fatwa, eines moslemischen Geistlichen.

Demnach sind Feiern in Hotels und Restaurants, bei denen Musik gemacht und getanzt wird und Männer und Frauen miteinander reden, gesetzwidrig.

Selbst bei Feiern zu Hause ist es verboten zu tanzen.

Das berichtete die afghanische Zeitung Anis. Diese Regeln galten auch unter den Taliban.

Nach den US-Angriffen wegen der Terroranschläge vom 11. September war das Taliban-Regime in der Nacht zum 13. November 2001 in Kabul zusammengebrochen.

Hochzeiten und andere Familienfeste werden seitdem zumindest in den Städten wieder wie früher öffentlich gefeiert.

Die Zeitung berichtete weiter, dass beobachtet wurde wie Bräutigam und Braut zuche Reinigungsvorschriften können daher nicht eingehalten werden, was im Fastenmonat Ramadan seit letzter Woche aus Sicht der Studenten eine besonders schwere Sünde ist.

Ihr Protest richtet sich zudem gegen die Teuerungswelle, die gegenwärtig über das Land rollt. Grund ist die Währungsreform, durch die der Afghani drei Nullen verliert. Sein Wechselkurs zum Dollar sackte bereits wieder auf das Niveau der Taliban-Zeit ab: 1:72.000, im Frühjahr waren es 1:24.000. Unmittelbares Ziel des studentischen Protestmarsches war daher der Geld-wechslermarkt. Beim Handgemenge mit der Polizei sollen die Studenten nach Augenzeugenberichten Schußwaffen erbeutet haben. Die Ordnungshüter setzten zunächst Wasserwerfer ein. Später wurde geschossen. Vier Studenten wurden getötet, weitere zehn liegen schwer verletzt im Krankenhaus, was die Situation weiter anheizte.

Sympathie für Bin Laden

Am Dienstag gingen daher bereits um die 4000 auf die Straße, die Sympathie für die Taliban und al-Qaida-Chef Osama bin Laden äußerten und regierungsfeindliche Losungen skandierten, wie der Sender Radio Liberty berichtete. Die Polizei ist laut Karzai auf eigene Initiative vorgeprescht.

Armee und Polizei bestehen noch immer fast ausschließlich aus Mitgliedern der ehemaligen Nordallianz - ethnischen Tadschiken, die auch im Kabinett das Sagen haben und die Unruhen für die definitive Demontage Karzais und neue ethnische Zusammenstöße instrumentalisieren könnten.

Der Aufruhr, räumte Geheimdienstchef Abdul Karim (Tadschike) am Dienstag ein, sei keineswegs beigelegt. Bei den Studenten handelt es sich überwiegend um Paschtunen aus dem Südosten, wo einflußreiche Stammesführer seit Sommer offen gegen das Machtmonopol der Tadschiken und die Einmischung der USA rebellieren: Sie hatten Exkönig Zahir Schah bei den Wahlen auf der Großen Ratsversammlung im Juni gezwungen, seine Kandidatur zu Gunsten des Paschtunen Karzais zurückzuziehen.

Zwangsläufig wächst dort auch der Widerstand gegen Washington, mit dessen Kriegszielen sich die Bevölkerung ohnehin nur bedingt identifizieren kann. Rund 3000 afghanische Zivilisten sind inzwischen Opfer mißglückter Präzisionsschläge im Kampf gegen den Terrorismus. Der Haß steigt. Unversöhnliche Gegner werden so zu Verbündeten - zumindest auf Zeit.

Jene 16 US-Soldaten, die am Wochenende ums Leben kamen, seien erst der Anfang, drohte Expremier Gulbuddin Hekmatyar in der in London erscheinenden Zeitung Al Hayat. Seine Milizen hätten seit seiner Rückkehr nach Afghanistan 670 GIs außer Gefecht gesetzt. Die USA täuschten sich, wenn sie ihre Probleme auf Bin Laden und den Terrorismus reduzieren. Ihre Politik hätte die islamische Welt herausgefordert.


Afghanische Frauen sind zu Gast im Beginenhof

  14.11.2002 Ostthüringer Zeitung

Tännich (OTZ/H.E.). Eine 14-tägige Bildungsreise beginnt für fünf Frauen aus Afghanistan am Donnerstag im Beginenhof in Tännich bei Breitenheerda. Ausgerichtet von der "Thüringer Initiative unterstützt Frauen in Afghanistan" werden sich die Frauen bei zahlreichen Vorträgen, Seminaren und Begegnungen mit Thüringer Frauen einen Einblick in den deutschen Alltag verschaffen und parallel dazu über die gesellschaftliche Situation in ihrem Land unter der Berücksichtigung der speziellen Situation der Frauen informieren.

Am Donnerstag werden die Frauen, eine von ihnen gemeinsam mit ihrer 15-monatigen Tochter, auf dem Flugplatz in Frankfurt erwartet und von dort direkt nach Tännich gebracht. Hier können sie sich über das Wochenende erholen, sich über das Programm der Reise informieren und ihre Begleiterinnen kennen lernen. Die offizielle Eröffnung mit Begrüßungsempfang findet am Sonnabend ab 14 Uhr im Beginenhof in Tännich statt. Hierzu sind Gäste herzlich willkommen. Die afghanischen Frauen werden dort über ihre Heimat berichten.

Die Veranstaltung ist als Auftakt für weitere vertiefende Kontakte zu verstehen. "Wir wollen, dass langfristige Verbindungen daraus entstehen, auch wirtschaftliche Verbindungen", so Ursula Häuser, Projektmanagerin beim Erfurter Frauenzentrum Brennessel, das sich um die Organisation der Bildungsreise kümmert. So ist zum Beispiel am Sonnabend im Beginenhof ein Basar aufgebaut, an dem die afghanischen Frauen Schmuck oder handwerkliche Produkte aus ihrer Heimat vorstellen und anbieten.

Am Montag werden die Frauen, denen die ganze Zeit über zwei in München lebende Afghaninnen als Übersetzer zur Seite stehen, weiter reisen nach Weimar. Von dort aus werden sie bis zum 28. November durch Thüringen reisen und zahlreiche Gespräche, so unter anderem bei ZDF in Erfurt, im Landtag und in verschiedenen Frauenzentren, führen.


Jeans unter der Burka
Tony Kushners "Homebody/Kabul" im Basler Theater


  14.11.2002 Stuttgarter Zeitung

Nichts ist so alt wie das Neueste von gestern. Insofern ist es natürlich Glück, wenn ein Autor mit Vorsprung vor der Aktualität gestartet ist und dann im entscheidenden Moment eine Punktlandung hinlegen kann. Tony Kushner also hatte sein neuestes Stück "Homebody / Kabul", das ein Hit werden sollte wie seit "Angels in America" keines mehr, fertig, bevor der 11. September 2001 Afghanistan auf die Traktandenliste der Weltpolitik setzte. Aber was is>

Der US-Geheimdienst CIA hat angeblich insgesamt 70 Millionen Dollar an afghanische Warlords gezahlt, damit diese den Kampf gegen die Taliban unterstützten. CIA-Mitarbeiter hätten das Bargeld in 100-Dollar-Scheinen an verschiedene Kriegsherren ausgezahlt, berichtet die "Washington Post", die Auszüge aus einem neuen Buch ihres Starreporters Bob Woodward veröffentlichte. US-Präsident George W. Bush habe dies als "Geschäft" gebilligt, schreibt Woodward in seinem Werk "Bush at War" (Bush im Krieg).

Der Journalist, der durch seine spektakulären Enthüllungen im Watergate-Skandal berühmt wurde, beschreibt auch die Spannungen innerhalb der US-Regierung wegen der Irak-Krise. Laut "Washington Post" schildert Woodward ausführlich den Streit zwischen US-Außenminister Colin Powell und den Hardlinern im Kabinett, Vize-Präsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Powell habe Bush schließlich überzeugen können, dass die USA eine mögliche Militäraktion nicht ohne internationale Unterstützung erwägen sollten.

Woodward geht auch auf Bushs angespanntes Verhältnis zum nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il ein: "Ich hasse Kim Jong Il", wird der US-Präsident zitiert. Er reagiere "instinktiv" auf den "Typen", der sein Volk verhungern lasse, sagte Bush in einem Gespräch mit Woodward. Für sein Buch verwendete der Reporter insgesamt vier Stunden Aufzeichnungen von Bush-Interviews. Zudem bezieht er sich auf Treffen des Nationalen Sicherheitsrats und anderer wichtiger Beratungen im Weißen Haus zum Krieg in Afghanistan sowie der Irak-Krise.

 

Die gekauften Afghanen
Die amerikanische CIA hat die Unterstützung der Stammesführer mit Bargeld bezahlt. 70 Millionen Dollar wurden unter den Warlords verteilt.


  21.11.2002 Salzburger Nachrichten

Washington hatte die geheimen CIA-Operationen im Afghanistan der Taliban nie bestätigt. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gab auf entsprechende Fragen bloß wissendes Lächeln zur Antwort. Erwiesen schien nur, dass die Rettung des paschtunischen Widerstandsführers Abdul Haq durch CIA-Elitekommandos gescheitert war. Doch auch dass Taliban-Stellungen bald darauf wie Dominosteine zu fallen begannen, war CIA-Operationen zu verdanken: Agenten hatten mit Millionenbeträgen die Loyalität von Taliban-Stammesführern gekauft. In dem neuen Buch "Bush at War" des "Washington Post"-Reporters Bob Woodward, der den Watergate-Skandal aufgedeckt hatte, wird von der US-Regierung erstmals bestätigt, dass bare Dollar in Afghanistan ebenso wichtig gewesen waren wie militärische Feuerkraft und Bombenteppiche.

Woodward hat mehrstündige Gespräche mit US-Präsident George W. Bush geführt und zahllose Treffen des inneren Kerns um Bush analysiert. Ein erstes, zehnköpfiges CIA-Team mit dem Codenamen "Jawbreaker" (Zungenbrecher) ist laut Woodward bereits zwei Wochen nach dem 11. September in Afghanistan gelandet. Im Gepäck: mehr als drei Millionen US-Dollar in bar.

Zu den Kosten der Operation mit insgesamt sechs CIA-Teams im Einsatz sagte George W. Bush lediglich: "That's one bargain" - ein Schnäppchen sei's gewesen, ein Sonderangebot sozusagen.

Laut "Washington Post" wurden 70 Millionen Dollar, gestückelt in Hunderterscheinen, an die Stammesführer verteilt. Mit Bergen an Geldscheinen sei auch die zerstrittene Nordallianz überzeugt worden, eine geeinte Front zu bilden. Die Taliban hätten Mazari-Sharif, die Schlüsselstadt im Norden, schließlich nur verloren, weil zwei verfeindete Widerstandsführer zur Zusammenarbeit bestochen wurden.

Die Kriegsführung per Geldkoffer blieb allerdings nicht ohne Fehlschläge. Paschtunenführer Abdul Haq hatte mehreren Stammesführern bereits 10.000 Dollar und ein Satellitentelefon ausgehändigt, das diese aber an Hardliner der Taliban-Miliz übergaben. Abdul Haq saß in der Falle; er starb wenige Tage später unter der Folter der Islamisten, womit Afghanistans heutiger Präsident Hamid Karzai, der vor einem Jahr den Widerstand um Kandahar aufbaute, zum Hauptschützling der USA aufstieg

Taliban-Sympathisanten wollen die Uhr in Afghanistan zurückdrehen


  26.11.2002 Nordwest Zeitung (Von Khalid Mafton)

Kabul. Gut ein Jahr nach dem Sturz der Taliban wollen ihre Sympathisanten die Uhr in Afghanistan zurückdrehen. Überfälle auf Mädchenschulen, ein Bann gegen Hochzeitspartys, ein Angriff auf Musiker, das Verbot indischer Filme - all dies zeigt nach Ansicht von Beobachtern, dass fanatische Islamisten sich mit dem Wandel in Afghanistan nicht abfinden.

Ob der brutale Überfall auf zwei deutsche Helfer nahe Kabul von Kriminellen begangen wurde oder ebenfalls einen politischen Hintergrund hat, blieb zunächst unklar. Er unterstreicht aber, dass die Regierung von Präsident Hamid Karsai sich schwer tut, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.

Der Bombenanschlag in Kabul und das Attentat auf Karsai im September wie auch die Festnahme eines Mannes, der verdächtigt wird, ein Selbstmordattentat auf Verteidigungsminister Mohammed Fahim geplant zu haben, zeigen, dass die Gegner der Erneuerung auch vor Terror nicht zurückschrecken. „Es gibt Berichte darüber, dass sich neue Koalitionen zwischen fundamentalistischen Gruppen gebildet haben, die den Friedensprozess in Afghanistan sabotieren wollen“, sagt die Menschenrechtlerin Homaira Nahmati.

Einzelne Übergriffe und Aktionen der Fundamentalisten belasten den Alltag aller Afghanen, denn sie sprechen sich rasch herum und sorgen für Angst. Da ist zum Beispiel der Musiker Mohammed Masrur Sarwari. „Wir waren für eine Hochzeitsfeier in Charikar nördlich von Kabul engagiert und wurden von der örtlichen Polizei verprügelt, als wir dort eintrafen“, berichtet er.

Weltliche Musik war unter den Talibgeöffnet. Aber es ist noch viel internationale Solidarität notwendig, bis Frauen und Mädchen in der Lage sein werden, durch diese Tür zu gehen."



 

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